Stadtkapelle Nürtingen hatte zu ihrem Tattoo das Landes-Jugend-Jazz-Orchester zu Gast
(Artikel vom 24.07.2017 aus der Nürtingen Zeitung; Reiner Wendung)
Das mittlerweile 21. Tattoo der Nürtingen Stadtkapelle stand am Samstagabend unter einem besonders günstigen Stern: Hatte man doch nach Rathaus- und Stadthallenvorplatz nun in der Spielstätte des “Open Air” an der Stadtkirche eine kompakte, atmosphärisch wie akustisch besser geeignete Lokalität zur Verfügung. Un der Verzicht auf die sonst gepflegten Licht-Illuminationenen – ob dem anderen Spielort oder eventueller Einsicht geschuldet – ist sicher den wenigsten Besuchern aufgefallen. Ihnen konnte jedoch nicht entgehen, dass man diesmal eine klasse Gastformation dabei hatte in Form des Landes-Jugend-Jazz-Orchesters unter der Leitung von Klaus Graf. Eine besondere Rolle spielte der Nürtingen Oliver Wieczorek, der den Kontakt anbahnte und in beiden Ensembles aktiv ist.
Die Nürtingen zeigten gleich “klare Kante”, indem sie zur Eröffnung eine spritzige Fanfare mit kammermusikalischen Zwischenstellen erklingen ließen, die auch als Titelmelodie für eine Blockbuster-Serie geeignet gewesen wäre. Die jungen Landesvater, die sich aus den Arrangements der SWR-Big-Band bedienen dürfen, legten mi zwei solchen von Sammy Nestico nach. Ein flottes Stück mit Soli von jeweils zwei Trompeten und zwei Saxofonen, gefolgt von einem mäßig schnellen, in dem sich alle vier Posaunisten präsentieren konnten. Der auf der Seite der Stadtkapelle angenehm durchs Programm führende Hannes Deichmann konnte dann ein ersten Höhepunkt ankündigen: Ein spanisch klingendes Orchesterstück für zwei Trompeten, das von den Solisten Christian Breuning und Peter Pfitzenmaier bravourös gemeistert wurde und an seinen besten Stellen ein wenig an gilt Evans`Arrangements für Miles Davis erinnerte. Das lockte die Big-Band aus der Reserve, die sodann ihre erste Sängerin aufbot, Mareike Rieger, die mit warmen Timbre das populäre “Feeling good” sang.
Die Musikerunter Herward Heidinger hatten keine Not, ihrerseits weitere Facetten zu zeigen. Im spannenden, nach den koreanischen Ort “Inchon” benannten Stück, das den seinerzeit dort herrschenden Militärkonflikt zum Thema hatte, glänzten sie mit aufwändigen lautmalerischen Effekten, die unter die Haut gingen: Meeresbrandung, Hubschrauber, Schüsse und Detonationen – alles handgemacht. Eine abwechslungsreiche Komposition eines ehemaligen Landes-Jugend-Jazzers im Stile von Duke Ellington war die Antwort von Seiten der Big-band. Auch jetzt parierte die Stadtkapelle mit Bizets Carmen March”, der klanggewaltig daherkam (großes Lob für den Schellenring-Spioeler) und keine Wünsche offen ließ. Um Vorsätze fürs “Next Year” ging es im nächsten Stück, in der die Big-Band ihren zweiten Sänger, den wunderbaren Bartion David Künstler, die vielleicht etwas zu reife Jamie-Callum-Nummer singen ließ. Das unsterbliche “Caravan” der Gäste und das dem Weg dorthin befindliche “Children of Sanchez” mit den Nürtinger Solisten Nina Gauder und Max Volz brachten die Stimmung auf den Höhepunkt. Wie eine erfrischende Verschnaufpause wirkte das von Katrin Birk, der zweiten Sängerin der Landesvater, sensationell gesungene “Honeysuckle Rose” mit gekonntem, belobigen Saatgesang im Stile Ella Fitzgeralds.
In der Zugabe der Gäste ließ der Leiter Klaus Graf seine “Jungs” von der Leine und gab ihnen in einer pfundigen Jazz-Rocknummer Gelegenheit, alles zu geben. Dann war erst noch einmal Tradition angesagt: Wie gewohnt als letztes Stück der Gastgeber hörte man das klangvolle “Highland Cathedral” unter perfekter Ausnutzung der Lokalität mit räumlich verteilten Trompeten. Doch dann brach der Jazz sich wieder seine Bahn, aus dem “Opern-Air”-Ort wurde Nürtingens “Jazz open” im gemeinsam gespielten “Watermelon Man”. Niemand hätte das erwartet, Musiker der Stadtkapelle taten es ihren Gästen gleich und übten sich im freien Spiel, mehr können zwei Ensembles nicht verschmelzen als an diesem Samstagabend, an dem Herward Heidinger seinen Regenschirm wieder trocken mit nach Hause nehmen konnte.